Titel
Authentizität und Inszenierung. Die Vermittlung von Geschichte in amerikanischen historic sites


Autor(en)
Schindler, Sabine
Reihe
American Studies - A Monograph Series
Erschienen
Anzahl Seiten
X, 280 S., 32 s/w Abb.
Preis
€ 42,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Peter Schaefer, Jena

Die gediegene, informative und kritische Studie entstand als Dissertation im Fach Amerikanistik an der Universität Passau. Sie befasst sich mit drei markanten Stätten nationaler Erinnerung in den USA, mit Mount Vernon, Colonial Williamsburg sowie Plimoth Plantation und mit der Frage nach der Authentizität und Vermittlung des dort gebotenen historischen Wissens. Im Umfeld der neuerdings verstärkt beachteten Erinnerungsgeschichte versteht sie die überlieferten Zeichen der Vergangenheit im Sinne der von Roland Barthes begründeten Kultursemiotik als Botschaften, die es zu deuten gilt und geht der Frage nach, wieweit der Anspruch dieser Stätten „Geschichte zum einen authentisch und zum anderen sinnlich erfassbar zu präsentieren“ (S. 1) an den drei Orten erfüllt wird. Mithin versteht Sabine Schindler historic sites „als semiotische Systeme, die dem Besucher auf verbalem und visuellem Wege bewusste und unbewusste Deutungen von Geschichte liefern, die kulturell verankert sind“ (S. 16).

Auf diesem Wege gelangt sie bereits bei der Darstellung der geschichtlichen Entwicklung der von ihr ausgewählten historic sites, die alle drei aus den kolonialen Anfängen bzw. der Gründungsphase der USA stammen, zu aufschlussreichen Ergebnissen. Die museale Bewahrung und Gestaltung von Mount Vernon, des „amerikanischen Nationalsymbols“, geht auf eine Initiative der Mount Vernon Ladies’ Association of the Union seit den 1850er-Jahren zurück, den Landsitz George Washingtons vom Ende des 18. Jahrhunderts der Nachwelt zu erhalten. Die Rekonstruktion der Hauptstadt Virginias von 1699-1780, Williamsburg, erfolgte mit Geldern des Ölmillionärs John D. Rockefeller, jr. seit 1926, wobei es zur Zerstörung historisch gewachsener Strukturen zugunsten der „historischen Vision des Geldgebers“ kam (S. 35). Nationalistische Einflüsse im Konzept Rockefellers werden in der Studie kritisch, wenn auch recht knapp angesprochen. Die Plimoth Plantation in Massachusetts, eine Siedlung der Pilgerväter mit 14 Holzhütten aus dem Stichjahr 1627, wurde 1947 eingerichtet und bezog nun auch die Demonstration alltagsgeschichtlicher Lebenswelten ein. Zu diesem musealen Komplex gehört eine wieder aufgebaute indianische Farm Hobbamock’s Homesite. Das hierzu vermittelte Geschichtsbild klammert Schindler aus mir nicht recht einleuchtenden Gründen aus. 1 Im Hauptteil des Buches - „Die Vermittlung von Geschichte on site“ - geht es Schindler, die sich dabei neben anderen Quellen auf zahlreiche vor Ort gemachte Interviews stützen kann, um die Analyse des Geschichtsbildes, das in den drei untersuchten Stätten vermittelt wird und um Art und Methoden der Vermittlung.

Sie beginnt mit Mount Vernon und stellt fest, das dort heute vermittelte Geschichtsbild erfülle eine Doppelfunktion. Zum einen diene Mount Vernon als nationale Kult- und Wallfahrtsstätte, in der Washington, dem „secular saint“ gehuldigt werde. Zum anderen wolle es Einblick in die privatmenschliche Dimension des ikonenhaften Präsidenten gewähren. Kritisch vermerkt sie: „So wird Washington als Grundbesitzer, Familienmensch und landwirtschaftlicher Pionier vorgestellt, und nicht als der privilegierte Exponent des patriarchalischen Südens, der er historisch gesehen war.“ (S. 62) Kritisiert wird auch, das die Sklaverei als zentrale Kategorie des damaligen Plantagensystems an der Peripherie und überdies beschönigt dargestellt wird. Überhaupt fällt ihr Urteil über den historischen Bildungswert dieser Gedenkstätte kritischer aus, als gegenüber den beiden anderen Stätten, die von Schindler untersucht wurden. 2

Colonial Williamsburg, die rekonstruierte frühere Hauptstadt im kolonialen Virginia, ein musealer Komplex von besonderem Rang, beeindruckt den heutigen Besucher nicht nur durch die Schönheit der kolonialen Kulisse, der Gebäude, Grünanlagen und Straßenzüge, sondern ebenso durch die illusionäre Vorstellung des kolonialen Alltagslebens auf den Strassen, in den Geschäften, Handwerkerstuben oder Wirtshäusern durch Menschen in den Kostümen jener Zeit. In Colonial Williamsburg herrscht heute nicht mehr die „vollmundige patriotische Rhetorik eines John D. Rockefeller, jr.“, im Vordergrund steht vielmehr „eine geschichtswissenschaftlich fundierte Bildungsabsicht“ (S. 95). Allerdings bleibt auch sie weiterhin mit patriotisch gefärbten Botschaften eines traditionellen amerikanischen Selbstverständnisses gekoppelt.

Schindler kann zeigen, dass in dieser historischen Stätte die Erkenntnisse der New Social History reflektiert werden und ein konfliktorientiertes Bild der amerikanischen Vergangenheit vermittelt wird. Neuerdings widmet man auch dem Thema der Sklaverei mit einer eigenen Besichtigungstour eine merkliche Aufmerksamkeit. Abschließend (S. 163ff.) macht Schindler deutlich, dass zum Authentizitätskonzept der rekonstruierten kolonialen Hauptstadt ebenfalls kritische Anmerkungen gemacht werden können.

Auch am dritten und jüngsten Beispiel der Untersuchung – Plimoth Plantation – lässt sich die Verquickung von Wissenschaftlichkeit und Bemühen um Authentizität mit einer patriotisch gefärbten Perspektive nachweisen. Auch hier werden wie in Mount Vernon und Colonial Williamsburg dem Besucher „konstitutive Bestandteile des amerikanischen Gründungsmythos nahe gebracht“ (S. 229). Bei der Plimoth Plantation handelt es sich ausschließlich um reproduzierte Bauten und Gegenstände. Aber auch hier bietet sich dem Besucher die Möglichkeit des aktiven Nacherlebens von Geschichte, deren authentischer Charakter in der Studie kritisch hinterfragt und ausgewogen analysiert wird.

Im Schlussteil des Buches - „Deutung und Authentizität“ - wird die Quersumme der aufschlussreichen Forschungsarbeit gezogen. Danach kommen in Mount Vernon eher konventionelle Methoden der musealen Kommunikation zum Einsatz. Colonial Williamsburg kreiert eine partielle Vergangenheitsillusion, die nur zum Teil explizit gedeutet wird (S. 230). Plimoth Plantation schließlich bezweckt die Herstellung einer möglichst vollständigen Vergangenheitssimulation. Als Resümee heißt es: „Bei aller Unterschiedlichkeit der programmatischen Zielsetzungen, der Deutungsmechanismen und Funktionsbestimmungen, die der Vermittlungstätigkeit Mount Vernons, Colonial Williamsburgs und Plimoth Plantations zugrunde liegen, ist offenkundig geworden, dass jede der drei Stätten letztendlich der Tradition des ‚civil religion approach’ verhaftet bleibt.“ (S. 238) Alle diese Stätten vermitteln nicht lediglich Deutungen historischen Wissens und tragen zur Stiftung nationaler Identität bei, „sondern machen Geschichte als Zufluchtsort des modernen Zeitgenossen vor einer ungewissen Gegenwart und Zukunft attraktiv“ (S. 246). Dieses Urteil kann der Rezensent in der Erinnerung an seine eigenen Eindrücke vom Landsitz George Washingtons am Potomac und von Colonial Williamsburg ungeteilt bestätigen.

Im Anhang illustrieren 32 Abbildungen die Aussagen über die drei historischen Stätten.

Die Studie von Schindler ist ein fundierter und ausgewogener Forschungsbeitrag. Sie wird in ihrer detaillierten Analyse und schlüssigen Argumentation der gestellten Aufgabe gerecht. Positiv zu vermerken ist ausdrücklich die differenzierte Sicht, das Vermeiden pauschaler Urteile, der offene Blick für Gemeinsamkeiten und Unterschiede der drei historischen Stätten. Es bleibt zu hoffen, dass angeregt durch die Arbeit von Sabine Schindler weitere Studien dieser Art folgen, die sich dann den historischen Stätten der Vereinigten Staaten aus dem 19. und 20. Jahrhundert zuwenden könnten, beispielsweise den Gedenkstätten des Bürgerkriegs, der musealen Behandlung der neueren Geschichte der Amerikanischen Indianer oder der Bewahrung industrieller Denkmäler wie etwa des Kupferzentrums Butte, Montana. 3

Anmerkungen:
1 Auf S. 178f. kommt Schindler nochmals kurz auf die Informationen über den Stamm der Wampanoag zurück.
2 Vgl. dazu die Schlusspassage zu Mount Vernon auf S. 95 des Buches.
3 Vgl. hierzu: A Historical Guide to the United States, prep. by the American Association for State and Local History, New York 1986, S. 293ff.